Ein Netz vermag alles aufzufangen. Ein Zwischenraum, wie ein Filter, durch den die Gedanken nicht einfach durchrutschen, sondern sich
darin verfangen, hängen und haften bleiben, ohne die freie Sicht auf das Davor und das Dahinter wegzunehmen. Das Netz als rhythmisches Moment des Innehaltens und als Organismus, der sich ausstreckt
und alles verbindet.
Die Gaze ist ein Netzgewebe, flach gewebt aus Baumwolle. Zum Einsatz kommt sie zum Versorgen und Verbinden von Wunden, zum Polieren in
Tiefdruckverfahren und im seit 2019 fortlaufenden Werkkomplex „Soft Skills“ von Veronika Suschnig. Hier befragt die Künstlerin nicht nur die Nähe- und Distanzverhältnisse, die die Covid-Pandemiejahre
verschärft haben, sondern generelle zwischenmenschliche Verschiebungen im Kommunikationsverhalten. Der Duden definiert „Soft Skill“ als „Kompetenz im zwischenmenschlichen Bereich, Fähigkeit im Umgang
mit anderen Menschen“. Diese Fähigkeiten werden aber immer dünner, beobachtet die Künstlerin, ganz so wie der scheinbare Faden, der die Formen der „Soft Skills“-Serie webt, lasierend und schemenhaft
schimmert. Acrylbänder, die sich an den Stoff schmiegen, so wie der Stoff sich sonst über Wunden legt. Heilung und die Spuren der Wunden sind wiederholt Themen im Werk von Veronika Suschnig, das zu
mehr Aufmerksamkeit im Nebeneinander und Miteinander animiert, das wird nicht nur in der Serie der „Soft Skills“ augenscheinlich, sondern auch in den „Pain Poems“ und „Pain Patterns“ – Notizen
geklebt in Rosendornen – oder auch in den „Drugtales“, auf leeren Tablettenhüllen gezogene Versatzstücke aus Textfragmenten. “Turn soft and lovely anytime you have the chance”, heißt es bei Jenny
Holzer1.
Ein komplexer Arbeitsprozess verbirgt sich hinter den porös scheinenden Bildkörpern der „Soft Skills“. Tuschezeichnungen werden aus dem
analogen in den digitalen Raum gespiegelt, dort durch Überlagerungen und Verschiebungen verfremdet, um dann wieder mittels Siebdruck auf den mit Gaze bespannten Keilrahmen zu finden, wo die
Acrylfarbe pastös durch das Gitternetz des Stoffes gepresst wird und dabei eine unnachahmliche dreidimensionale Haptik entwickelt. Der Keilrahmen bleibt sichtbar, Vorder- und Hintergrund wechseln
sich ab und lösen sich auf. Das dreidimensionale und raumgreifende Denken, welches in allen Werkserien Suschnigs wesentlich ist, ist auch aus der Beschäftigung mit Architektur entstanden. 1989 in
Korneuburg bei Wien geboren, studierte Veronika Suschnig nicht nur Malerei an der Akademie der bildenden Künste Wien in der Klasse von Daniel Richter, sondern schloss auch ein Architekturstudium ab.
Aktuell ist die Künstlerin – nach einer kurzen Lehre bei Heimo Zobernig – in der Bildhauerklasse von Nora Schultz eingeschrieben, wo sich ihr persönliches Interesse von „skulpturalen Tafelbildern“
noch weiter zur Rauminstallation ausgedehnt. So erobert Suschnig auch den Galerieraum ganzheitlich und zieht eine Zimmerstruktur, komponiert aus einem Bodenaufbau und fensterartigen Bildwerken, in
ihre erste Einzelausstellung bei Agnes Reinthaler ein. Es entsteht ein dialogisches Wechselspiel aus Raumskulpturen und Bildobjekten – hier im Raum so wie im ganzen Denken von Veronika Suschnig ist
Kommunikation essenziell. Rund um die Digitalisierung befragt sie den langsamen Verlust der Körpersprache und animiert einen Austausch auch auf dieser Ebene – denn Veronika Suschnigs Arbeiten
versteht man am besten in der Bewegung um sie herum.
- Paula Watzl, Textchefin Parnass -
[1] Jenny Holzer, Michael Auping, The Venice Installation, United States Pavilion, the 44th Venice Biennale, May 27-September 30, 1990, Buffalo Fine Arts Academy,
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A net can catch anything. It’s an in-between space, like a filter, through which thoughts do not merely pass, but get caught up, hung up or stuck
without losing their free perspective on what lies before or behind them. The net as rhythmic moment of suspension, and as an organism that stretches itself out and connects everything.
Gauze is a mesh fabric woven flat from cotton. It is used for dressing and bandaging wounds, for polishing in intaglio printing processes, and in Veronika Suschnig's complex work "Soft Skills,"
which has been ongoing since 2019. Here, the artist interrogates not only the relationships of proximity and distance exacerbated by the Covid pandemic years, but general interpersonal shifts in
communication behavior. The Duden defines "soft skill" as "competence in the interpersonal sphere, ability to deal with other people." But these skills are becoming thinner and thinner, the artist
observes, much like the apparent thread that weaves the forms of the "Soft Skills" series, shimmering glazed and shadowy. Acrylic ribbons that cling to the fabric, just as the fabric usually covers
wounds. Healing and the traces of wounds are repeated themes in Veronika Suschnig's work, which encourages more attention in juxtaposition and togetherness. This is evident not only in the "Soft
Skills" series, but also in the "Pain Poems" and "Pain Patterns" — notes glued into rose thorns — or in the "Drugtales", set pieces of text fragments drawn on empty tablet cases. “Turn soft and
lovely anytime you have the chance”[1], as Jenny Holzer says.
A complex working process is behind the seemingly porous images of "Soft Skills". Ink drawings are mirrored from analog to digital space, where they are alienated by superimpositions and
displacements, only to find their way back to the gauze — covered stretcher frame by means of silkscreen printing, where the acrylic paint is pressed impasto style through the grid of the fabric,
creating an inimitable three —dimensional feel. The stretcher frame remains visible, foreground and background alternate and dissolve. The three-dimensional and expansive thinking that is essential
in all of Suschnig's work series also emerged from her preoccupation with architecture. Born in 1989 in Korneuburg near Vienna, Veronika Suschnig not only studied painting at the Academy of Fine Arts
Vienna with Daniel Richter, but also completed a degree in architecture. Currently, after a brief apprenticeship with Heimo Zobernig, the artist is enrolled in Nora Schultz's sculpture class, where
her personal interest has expanded even further from "sculptural panel paintings" to spatial installations. Thus Suschnig also captures the gallery space holistically, moving a room structure
composed of a floor installation and window-like pictorial works into her first solo exhibition at Agnes Reinthaler. The result is a dialogical interplay of spatial sculptures and pictorial objects —
here in this space, as in Veronika Suschnig's entire way of thinking, communication is essential. She questions the slow loss of body language in the context of digitalization and encourages an
exchange on that level as well — because Veronika Suschnig's works are best understood by moving around them.
- Paula Watzl, Parnass Artmagazine -